„Welch ergreifender Gesang! Was muss das für ein bezauberndes Wesen sein, das so wunderschön singt?“
Wie von Sinnen lenkt der Seemann seinen Kurs um. Bald darauf zerschellt sein Schiff an den Felsen im flachen Gewässer. So lautet die Kurzform des griechischen Mythos um die weiblichen Fabelwesen. Sie betörten Segler mit ihrem Gesang und lockten sie an, um sie in den Tod zu schicken.
Wie dumm von den Seemännern, nicht wahr? Nein, nicht wirklich. Der Mensch lässt sich nunmal leicht von Schönheit, verlockenden Angeboten und auch den Stimmungen anderer betören. Da ist noch nicht einmal die eigentlich so sachliche Börsenwelt eine Ausnahme. Stimmungsindizes, Sentiment-Analysen und die von den Medien verbreitete Stimmung ziehen Anleger in ihren Bann wie Sirenengesang und führen sie in die Irre.
Verführerische Stimmungsmache
Für den ifo-Geschäftsklimaindex vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung der Universität München werden beispielsweise Unternehmer gebeten, ihre aktuelle Lage und ihre Erwartungen für die nächsten sechs Monate zu bewerten. Der Index, der daraus entsteht, gilt als Frühindikator für konjunkturelle Entwicklungen.
Letztlich ist die Entwicklung des ifo-Indexes aber nur nachgelagert: Gibt es schlechte Stimmung in der Wirtschaft und an der Börse, wirkt sich das auf die Stimmung bei Unternehmern aus. Zu glauben, dass sich daraus die künftige Entwicklung vorhersehen lässt, halte ich für mehr als fragwürdig.
Ein weiteres Beispiel sind Sentiment-Analysen. Sie versuchen, anhand der Stimmungen von Anlegern kurzfristige Kursverläufe vorherzusagen, um aktuelle Handlungsentscheidungen daran anzulehnen. Pure Anlegerpsychologie, die jedoch keine konkreten Handlungsanweisungen liefert. Lediglich im Nachhinein lässt sich dann feststellen, ob die Vorhersage nun eingetreten ist oder nicht.
Der Rückschaufehler
Und das ist eines der Probleme an diesen weichen Faktoren: der Rückschaufehler. Die Medien hypen eine bestimmte Stimmung und Anleger wie auch Unternehmer lassen sich betören. Wenn es eine Stimmung aber in die Medien schafft, ist sie meist bereits auf ihrem Hochpunkt angekommen – sowohl in negativer als auch positiver Ausprägung. Das bedeutet: die Stimmung befindet sich am Wendepunkt – die Anleger laufen in ihr Verderben und bekommen im Nachhinein den Eindruck, sie hätten es doch wissen müssen. Dabei können sie doch das, was sie später analysieren, im Voraus nicht wissen.
Die Stimmung ist ein Trugschluss und leistet keinen sinnvollen Beitrag, um Entscheidungen an der Börse zu treffen. Sie hat keinerlei Vorhersagekraft. Ein Barometer zeigt doch auch nur den aktuellen Luftdruck an und nicht, wie er sich in Zukunft entwickeln wird. Darum hinken Anleger, die sich an Stimmungen orientieren, meist hinterher – denn wenn die Stimmung schließlich alle erfasst hat und die Anleger beschlossen haben, zu investieren, macht der Markt oft schon wieder eine Kehrtwende.
Raus aus der Drehmühle
Mein Rat ist also logisch nachvollziehbar: Hören Sie nicht auf Stimmungen und Stimmungsanalysen – die schwanken und sind wenig treffsicher. Sie haben gerade mal eine Trefferquote von 50 %. Diese Wahrscheinlichkeit ist für ein Börseninvest deutlich zu gering. Da könnten Sie auch eine Münze werfen. Wenn Sie versuchen, sich an diesen wachsweichen Faktoren zu orientieren, landen Sie in der Drehmühle. Sie wissen ja doch nicht, wie Sie nun agieren sollen.
Ist die Stimmung mies, müssen Sie sich dann auf weiterhin fallende Kurse einrichten? Und wenn ja, was bedeutet das konkret für Ihre Anlagen? Alles verkaufen und den möglicherweise kurz bevorstehenden Aufschwung verpassen? Oder verhalten Sie sich lieber antizyklisch, weil sich die Stimmung bestimmt bald wieder dreht? Auch damit können Sie gewaltig auf die Nase fallen. Die Gegenmeinung ist nämlich genauso gefährlich, wie wenn Sie das tun, was gerade alle an der Börse machen.
Machen Sie es wie Odysseus
Und stattdessen? Machen Sie es wie Odysseus! Der hatte von den gefährlich betörenden Sirenen gehört und stopfte kurzerhand Wachs in die Ohren seiner Mannschaft. Sich selbst band er am Mast fest, um dem Gesang der Sirenen lauschen zu können, aber keineswegs das Schiff ins Verderben zu lenken.
Übertragen auf die Börse bedeutet das für Sie: Behalten Sie den Überblick über die Geschehnisse an der Börse, lauschen Sie ruhig auch den Stimmungsmachern – aber seien Sie sich bewusst, dass diese Sie nur verführen wollen – und binden Sie sich fest an Ihre Strategie, damit Sie Ihren Kurs halten.