2017 ist ein Wahljahr, das seinesgleichen sucht: Die Präsidentschaftswahl in den USA und ihr Ergebnis beherrschen seit Januar die Titelseiten der Zeitungen. Mit Spannung hat ganz Europa verfolgt, wie die Niederländer im März einer rechtspopulistischen Regierung eine Absage erteilten. Die deutsche Bundestagswahl lässt nur noch wenige Monate auf sich warten und uns zuvor kommen noch die Franzosen, die am 23. April zur Wahlurne schreiten und den elften Staatspräsidenten ihrer Republik bestimmen.
Anlegern dürfte dieses politische Auf und Ab ein Dorn im Auge sein. Denn die Börse, so könnte man glatt meinen, wählt mit. Viele Anleger fürchten um die Auswirkungen der politischen Ungewissheit auf die Aktien und damit ihr Vermögen. Frankreich könnte das Zünglein an der Waage sein und die Finanzmärkte ins Wanken bringen – falls beispielsweise Marine Le Pen den Sieg in diesem Wahljahr davonträgt.
Wie also reagieren im Wahljahr 2017? Kaufen, aussteigen, abwarten?
Konservative Liebe
Eine gängige Meinung, die mir in Gesprächen immer wieder begegnet, besagt: Die Börse liebt konservative Parteien. Bleibt die Politik unter konservativer Leitung, dann ist das besser für die Finanzmärkte.
Ein prominentes Beispiel durften Sie erst jüngst beobachten, als die Börsen nach der Wahl des Republikaners Donald Trump anstiegen, obwohl im Voraus alle den ungestümen Auftritt des neuen Mannes an der Spitze der USA fürchteten. Und das gleiche Szenario herrschte bereits 1978, als sich in Frankreich die Konservativen unter Valéry Giscard d’Estaing knapp durchsetzten. Nach Monaten der Angst, dass die Sozialisten triumphieren und eine Koalition mit den Kommunisten eingehen könnten, stiegen die Aktien nach dem konservativen Wahlsieg steil an und gewannen in den darauffolgenden Jahren bis Ende 1980 beachtliche 45 Prozent.
Die Theorie von der Liebe der Börsen zu konservativen Parteien scheint sich spätestens 1981 zu bestätigen, als sich François Mitterrand in Frankreich doch gegen seinen konservativen Kollegen durchsetzte. Während auf den Straßen von Paris die Menschen tanzten und die Sozialisten als neue Hoffnungsträger feierten, begann an der französischen Börse ein Erdrutsch: Innerhalb von nur drei Monaten brachen die Kurse um über 30 Prozent ein und das Jahr endete schließlich mit einem Minus von 17 Prozent. Unter dem konservativen und bekennenden Antikommunisten Ronald Reagan verlor der amerikanische Aktienmarkt im Vergleich nur circa 9 Prozent. Und nachdem Helmut Kohl im Oktober 1981 den Sozialdemokraten Helmut Schmidt als Bundeskanzler abgelöst hatte, schloss der deutsche Aktienmarkt das Jahr mit einem Plus von 2 Prozent ab.
Damit scheint es festzustehen: Die Börsen sind parteiisch!
Wichtiger als die Politik
Sie erahnen vermutlich schon, dass hier noch ein „aber“ folgt. Allerdings – und noch dazu ein vehementes! Was viele meiner Kollegen nämlich vergessen, wenn sie pro konservative Börse argumentieren, sind die Gegenbeispiele in der Geschichte. Auch unter dem Sozialisten Mitterrand stand der französische Aktienmarkt dem weltweiten Börsenaufschwung bis März 1987 in nichts nach. Er stieg um über 600 Prozent.
Und in der neueren Geschichte zeigen sich die Börsen ebenfalls wenig beeindruckt von politischer Wankelmütigkeit oder Parteizugehörigkeit, Wahljahr hin oder her. Als Demokrat Barack Obama aufs Regierungspodest der Vereinigten Staaten stieg, reagierten die Börsen keineswegs – wie die Theorie ihrer Neigung zu konservativen Parteien vermuten ließe – schockiert, sondern mit einem langjährigen Aufschwung.
Folglich können Sie daraus, wer im Wahljahr 2017 in Frankreich oder auch in Deutschland als Sieger hervorgeht, keine Schlüsse ziehen, wie sich die Börsen anschließend langfristig entwickeln werden. Und dass eine kurzfristige Spekulation auf einen bestimmten Wahlausgang eine höchst unsichere Sache ist, zeigen ebenfalls die historischen Ereignisse in Frankreich: Lagen 1978 die Anleger falsch, die aus Angst vor den Sozialisten nicht vor der Wahl gekauft hatten, wurden 1981 diejenigen auf dem falschen Fuß erwischt, die den Sozialisten misstrauten und nach deren Wahl 1981 in einen tiefen Kurssturz hinein verkauften. Als Entscheidungsgrundlage für ein Invest an der Börse sollten Sie daher andere Richtwerte heranziehen.
Geduld im Wahljahr
Anstatt sich von immer möglichen politischen Umbrüchen in jedem Wahljahr aufs Neue verleiten zu lassen, empfehle ich Ihnen, vielmehr die Gesamtumstände an den Finanzmärkten im Blick zu behalten. Denn viel wichtiger als ein Wahljahr ist für Ihr Investment beispielsweise, ob die Zinsen sinken, ob Aktien im Vergleich zu Anleihen noch fair bewertet sind oder ob die Rohstoff- und Energiepreise niedrig sind und damit einen wesentlichen Grundstock für den Aufschwung am Aktienmarkt bieten.
Aktuell gilt es deshalb, noch etwas Geduld zu bewahren. Wer jetzt investiert, läuft Gefahr, in eine Zwischenbaisse zu geraten. Der finale Auslöser bleibt aber im Voraus unbestimmbar; ein Wahlschock wäre nur ein mögliches Ereignis. Denn: Dass die Industriekosten steigen, zeigen die seit einem Jahr kletternden Rohstoffpreise und ist erkennbar an gängigen Indizes wie dem Reuters/Jefferies CRB-Index oder dem S&P GSCI – Goldman Sachs Commodity Index. So ein Kostenanstieg drückt entweder die Gewinne oder fördert Inflation. Die insbesondere in den USA steigenden Zinsen an den Anleihe- und Geldmärkten treten wieder stärker in Konkurrenz zu Dividenden, führen zu höheren Kapitalkosten und erschweren künftige Investitionen der Unternehmen. Und ein seit Dezember 2016 gegenüber wichtigen Währungen wie dem Euro oder dem japanischen Yen wieder schwächerer Dollar, der international die Exporterlöse schmälert, signalisiert ebenfalls, dass nun ein mehrmonatiger Abschwung bevorstehen könnte. Aus genau solchen Gesetzmäßigkeiten, die sich über viele Jahrzehnte hinweg nachweisen lassen, sowie den daraus resultierenden Erkenntnissen und Erfahrungen gilt es jetzt vorzubeugen und das Depot abzusichern.
Damit verbunden ist eine deutliche Reduzierung Ihrer Aktienquote, je nach persönlicher Risikoneigung auf ca. 20 bis 30 Prozent. Wer ganz sicher gehen will, kann auch komplett aussteigen. In jedem Fall sollten aktuell nur noch wenige Werte im Depot verbleiben. Denn von einem Kursverfall werden alle Aktien betroffen sein, wobei das beste Chance-/Risikoverhältnis derzeit noch Finanzwerte (z.B. Banken) sowie Stahl- und Textilwerte bieten.
Gerade Neueinsteigern rate ich momentan zu etwas Geduld: Sie verpassen jetzt nichts, denn die Möglichkeiten für vielversprechende Neukäufe sind nach dem großen Kursaufschwung erst mal begrenzt. Lehnen Sie sich lieber noch ein kurzes Weilchen zurück und verfolgen Sie das politische Spektakel um die Wahlen – ohne sich dabei allzu große Sorgen um Ihr Geld zu machen.